bunte Kirchfenster des Nathan Söderblom Hauses

Lesepredigt Jahreslosung

Die Lesepredigt 2023/2024 – 6. REIHE JAHRESLOSUNG 2024
TEXT: »ALLES, WAS IHR TUT, GESCHEHE IN LIEBE.« (1 KOR 16,14) 

Verfasser: 

Dr. Horst Gorski, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Leiter des Amtsbereiches der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)

I. Was tut man nicht alles, wenn man verliebt ist? Im Jahre 1968 kam eine junge Neuseeländerin namens Kim auf die Idee, ihrem Verlobten Roberto täglich eine kleine Zeichnung zu schenken mit einem Spruch, der mit den Worten »Liebe ist …« beginnt. Sie ahnte nicht, was sie damit angestoßen hatte. Ihr Verlobter und späterer Ehemann war nicht nur begeistert. Er dachte sich außerdem, dass diese Idee sich auch für die Veröffentlichung in einer Tageszeitung eignen könnte. So schickte er einen Stapel dieser kleinen Zeichnungen an eine amerikanische Zeitung, die zum Valentinstag 1970 erstmals eine davon veröffentlichte. Damit war ein Siegeszug um die Welt ins Rollen gebracht, der bis heute anhält. Etliche Tageszeitungen auf der ganzen Welt – auch eine große Tageszeitung in Deutschland – begannen mit dem täglichen Abdruck in vielen verschiedenen Sprachen. Roberto, dem diese Liebesgrüße galten, starb schon früh 1976. Kim aber zeichnete weiter, später unterstützt von anderen Zeichnern. Auch Kim ist inzwischen verstorben, aber die Idee lebt weiter. Es sollen inzwischen über 8.000 Zeichnungen mit verschiedenen Sprüchen sein – aber vermutlich kann das niemand genau sagen. Hier ist eine kleine Auswahl. »Liebe ist … die Art, wie du mich in den Armen hältst. Liebe ist … dankbar zu sein, für jeden Tag, den man gemeinsam verbringen kann. Liebe ist … sich gegenseitig Kraft zu geben. Liebe ist …, wenn ein Streit nie lange dauert. Liebe ist …, wenn auch an grauen Tagen alles himmelblau erscheint.« Was ursprünglich allein auf die Liebe zu zweit bezogen war, wurde später ausgeweitet auf die Familie und überhaupt auf Freundschaften und das menschliche Miteinander: »Liebe ist …, die Menschen, die du liebst, glücklich zu machen. Liebe ist … Fürsorge. Liebe ist … kostbare Momente festzuhalten. 

II. Was tut man nicht alles, wenn die Liebe fehlt? In dem Brief, den Paulus an die Gemeinde in Korinth schreibt, ist keineswegs nur von einem liebevollen Umgang miteinander die Rede. Es gibt Spaltungen in der Gemeinde, weil nach Paulus andere Missionare gekommen sind und sich die einen nun an Paulus, die anderen an Apollos und wieder andere an Kephas halten. Es wird über Lebensfragen gestritten, ob man heiraten oder lieber unverheiratet bleiben soll, ob man sich an die jüdischen Speisegebote halten soll. Es kommt bei den gottesdienstlichen Treffen zu Spannungen zwischen arm und reich, ob man in Zungen reden soll, ob Frauen auch etwas in der Gemeindeversammlung sagen dürfen. Wenn man die Ermahnungen des Paulus liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass es ziemlich ruppig zugegangen sein muss. Es »menschelt« von Anfang an in der Kirche, und das ist bis heute so. Deshalb ermahnt Paulus die Gemeinde zu einem liebevollen Umgang. Nicht erst bei den Grüßen am Briefende kommt er auf die Liebe zu sprechen, schon vorher, im 13. Kapitel, holt er zu einem Lobgesang auf die Liebe aus, der unter dem Namen »Das Hohelied der Liebe« bekannt geworden ist und mit den Worten endet: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Die Rede von der Liebe ist gerade deshalb notwendig, weil die Liebe nicht selbstverständlich ist. Das Leben in der Gemeinde in Korinth war nicht das Paradies, und das weiß Paulus sehr gut. Deshalb sind seine Reden über die Liebe auch nicht »Schönwetter-Reden« oder »Sonntagspredigten«, die mit dem Alltag nichts zu tun haben. Nirgendwo besteht das Leben auf dieser Welt nur aus Liebe. Das ist die bittere Realität. Aber gerade deswegen muss von der Liebe geredet werden, und nicht nur das: Um die Liebe muss gekämpft, gerungen werden. Sie ist, außer wenn man verliebt ist, nie einfach da. 

III. Ein Missverständnis muss ausgeräumt werden: Alles, was wir tun, hat mit Liebe zu tun, heißt nicht, immer zu lächeln. Es heißt auch nicht, Probleme unter den Teppich zu kehren. Man könnte sogar formulieren: Liebe ist … ein klares Wort zu sprechen. Und man könnte die »Liebe ist …«-Worte ergänzen um »Liebe ist nicht …«-Worte: Liebe ist nicht … zu sagen, Schwamm drüber. Liebe ist nicht … zu Unrecht zu schweigen. Liebe ist nicht … zu allem Ja und Amen zu sagen. Liebe ist nicht … wegzugucken. Jesus und Paulus geben gute Beispiele dafür, dass Liebe alles dies nicht ist. Jesus spricht den Machthabern seiner Zeit in das Gewissen. Er wirft die Geldwechsler zornig aus dem Tempel. Er wirft denen, die nach außen superfromm tun, Heuchelei vor. Und Paulus benennt die Missstände in Korinth, wie wir schon hörten, schonungslos beim Namen. Manchmal muss darüber gestritten werden, wie Liebe am besten in die Tat umgesetzt wird. Und es kann sogar komplizierte Situation geben, in denen unterschiedliche Meinungen stehen bleiben. Das konnten wir in den letzten beiden Jahren im Streit um Waffenlieferungen Ja oder Nein sehen. Um die Sorge für die Natur und die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen. Was den Menschen zum Besten dient und bester Ausdruck von Liebe und Nächstenliebe ist, das ist selten ganz eindeutig. Nicht nur in der Politik und im öffentlichen Leben. Auch privat, in der Familie: Was dient den Kindern am besten? Mehr Freiheiten oder das Setzen von Grenzen? Wie unterstütze ich meine alten Eltern am besten? Immer wird der eine dies und die andere etwas anderes für richtig halten. Es kann sogar vorkommen, dass man sich gegen den Vorwurf, lieblos zu sein, wehren muss, obwohl man doch alles zum Besten versucht hat. Wir bleiben verantwortlich für die Liebe. 

IV. Die Liebe kann alles verwandeln. Es gibt ein Gedicht eines unbekannten Autors, darin heißt es: »Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich. Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart. Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig. Besitz ohne Liebe macht geizig. Glaube ohne Liebe macht fanatisch.« Liebe ist nicht etwas einzelnes, eigenes, das allen anderen Dingen gegenübersteht. Sondern Liebe ist etwas, das zu allen Dingen hinzukommen – oder eben ihnen fehlen kann. Und je nachdem verwandelt sich ein und dieselbe Sache. Sogar etwas so Gutes wie der Glaube wird ohne Liebe fanatisch, braucht die Liebe, um sich im alltäglichen Leben in Weitherzigkeit und Güte zu verwandeln. Das ist gemeint mit »Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe«. Es ist ganz egal, wie unser Alltag aussieht: Ob wir allein leben oder zu zweit oder in Familie, ob wir verliebt oder genervt sind, ob wir einen Beruf mit Menschen oder einen an der Werkbank haben, ob wir alt oder jung sind, ob in der Stadt oder auf dem Land leben. Es geht nicht darum, etwas Bestimmtes zu tun. Sondern das, was unser Leben im Alltag bestimmt, die vielen Aufgaben und Kleinigkeit, mit Liebe zu tun und sie dadurch verwandeln zu lassen. Die Liebe ist das Band, das uns mit Gott und allen Menschen verbindet. Liebe kann die Welt verwandeln. V. Ein Jahr lang soll uns dieses Losungswort nun begleiten. Ein Jahr Gelegenheit, uns jeden Tag durch die Liebe verwandelt zu lassen. Das tut wohl, gerade an trüben Tagen, die nicht sowieso schon glänzen, sondern die durch die Liebe zum Glänzen gebracht werden. Durch die Liebe, die Gott schenkt. 

Amen. 

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