Die Bernauer Straße
im November 2024
Für Konrad Adenauer begann Sibirien ja gleich hinter der Elbe. Also, sibirisch kalt war es schon als wir am 20.11.2024 die Bernauer Straße besuchten und wir hatten uns mit allem, was der winterliche Kleiderschrank hergab bewaffnet. Anlass war der Fall der Mauer vor nun schon wieder 35 Jahren. Die Geschichte der Versöhnungskirche ist eng mit dem Mauerbau verbunden und sei deshalb hier kurz erzählt.
Sie lag schon immer im Grenzgebiet. Bis 1945 an der Bezirksgrenze Wedding / Prenzlauer Berg. Danach immer noch an der Bezirksgrenze, aber eine politische Grenze war dazu gekommen: Die Sektorengrenze zwischen dem sowjetisch und dem französischen Sektor von Berlin. Die Ev. Versöhnungsgemeinde erstreckte sich über Bezirks- und Sektorengrenze.
Die Bauarbeiten für die Kirche begannen 1892, geweiht wurde sie 1894. Es heißt allgemein sie wurde von Kaiserin Auguste Viktoria gestiftet. Andere Quellen berichten davon, dass sie ein Drittel der Baukosten getragen hat. Im Gotteshaus fanden rund 1000 Besucher Platz Es war nicht der einzige Neubau in dieser Zeit. Insgesamt entstanden in und um Berlin 75 evangelische und 25 katholische Kirchen.
Auguste Viktoria gründete 1888 auch den “Evangelisch-Kirchlichen Hülfsverein” der es sich zur Aufgabe machte Arbeiterschaft und Kirche zu versöhnen und der sittlichen Verrohung entgegenzuwirken. Sie war Schirmherrin dieses Vereins. Ihr Gatte, Wilhelm II begrüßte die Gründung mit den Worten: “In den großen Volksmassen, namentlich der großen Städte, nehmen die Umsturz-Ideen immer mehr überhand. Gesetze oder Gewaltmaßnahmen sind dagegen nicht ausreichend. Der wirksamste Schutz für Thron, Altar und Vaterland besteht darin, die der Kirche entfremdeten Massen zum Christentum und zur Kirche zurückzuführen. Dazu aber müssen sich alle treuen Männer ohne Unterschied der kirchlichen und politischen Parteistellung vereinigen und in gegenseitigem Vertrauen zusammenarbeiten zu einem nachhaltigen Widerstande gegen die Sozialdemokratie und den Anarchismus, die sich in immer gefährlich drohender Weise organisieren.”
Aha, es ging also mehr um Thron und Altar, weniger um das Volk.
Nach dem Ende des ersten Weltkrieges bedauerte die Evangelische Kirche die Abdankung des Kaisers, der ja auch als kirchliches Oberhaupt galt.
Ende der zwanziger Jahre hatte die Gemeinde 20.000 Mitglieder.
Während der NS-Zeit gehörten zwei Pfarrer der Bekennenden Kirche an, einer den Deutschen Christen.
Dieser predigte mitunter in Uniform. Weil er von einem beträchtlichen Teil der Gemeinde boykottiert wurde ließ er die leeren Reihen mit uniformierten Kameraden der SS auffüllen.“
Wie in einer Gemeinde die Bekennende Kirche gleichzeitig mit den Deutschen Christen zusammenwirken, konnte ist heute kaum nachvollziehbar. Es war ein Problem, mit dem fast alle evangelischen Gemeinden konfrontiert wurden. Vor allen Dingen: Wie konnte man sich nach den „1000 Jahren“ wieder in die Augen schauen?
Nach 1945 stand das Gotteshaus plötzlich an der Grenze zwischen den verfeindeten Mächten des Kalten Krieges. Während Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus sich im Osten Berlins befanden wohnten mehr als 90 Prozent der Gemeindemitglieder im Westen, im Bezirk Wedding. Die Gemeinde hatte sich allerdings auf 7000 Gemeindemitglieder reduziert. Die im Krieg stark beschädigt Kirche wurde ab 1950 wieder hergestellt und bis 1961 für Gottesdienste genutzt.
Lüge und Hochmut
„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“ – Walter Ulbricht 15.6.61
Am 13.August 1961 wurden der russische Sektor erst provisorisch mit Stacheldraht abgeriegelt aber schon wenig später vermauerte man das Hauptportal der Kirchenmauer. Die Kirche und das umliegende Friedhofsgelände wurde Sperrgebiet und durften von keiner Seite aus mehr betreten werden.
Das Gebäude verfiel, Grenzsoldaten trieben darin ihr Unwesen, auf dem Turm wurde zeitweise ein Maschinengewehr postiert.
Da die Kirche das Grenzgebiet unübersichtlich machte wurde 1985 erst die Kirche und einige Tage später auch der Turm gesprengt. Der Sprengung war ein Abkommen über einen Gebietsaustausch vorangegangen.
„Die Mauer wird noch in 100 Jahren stehen“ – Erich Honecker 19.1.1989
Dann kam 1989 die Wende. Die Versöhnungsgemeinde erhielt das Grundstück zur sakralen Nutzung zurück. Auf den Fundamenten der alten Kirche wurde am 9.November 2000 die Kapelle der Versöhnung errichtet. Die noch vorhandenen Glocken läuten jetzt von einem etwas abseitsstehenden Turm. Weitere Relikte stehen in der Kirche oder daneben.
Die Mauer ist seit über 30 Jahren Geschichte. Heute ist das Grenzgebiet um die Bernauer Straße eine Erinnerungsstätte. Sie wird tagtäglich von vielen Menschen besucht, die versuchen, sich anhand von
Bildern und Filmen ein Bild von der damaligen Zeit zu machen. Das ist schwer. Die Kirche wurde gesprengt und die zugemauerten Hausfassaden, die auf das Deutlichste die Unterdrückung der Bevölkerung dokumentierten, schon in den sechziger Jahren abgerissen. Man kann sich Not und Elend, die die Mauer damals ausgelöst haben, heute an dieser Stelle nicht mehr vorstellen. Die gespenstische Ruhe, die die Grenzorgane der DDR erzwungen hatten, fehlt. Touristen aller Jahrgänge „schlendern“ über den Todesstreifen, auf dem früher scharf geschossen wurde. Und jeden Tag erreichen uns heute Schreckensbilder von viel größerem Ausmaß, die an das Berlin im Jahre 1945 erinnern. Deutschland ist quasi seit dem 9.11.1989 gewaltlos vereint. Ein Glücksfall der Geschichte, durch viele Faktoren begünstigt und nicht für möglich gehalten. Andere Länder sind immer noch geteilt.
Es geht um Einflusszonen, Macht, Geld. Wann wird die Welt endlich verstehen, dass es größere Dinge gibt?
Text und Bilder: Hartmut Wieseke