Gedanken zur Jahreslosung 2020 von Pfarrerin Lydia Grund-Kolbinger

Jahreslosung 2020

Gedanken zur Jahreslosung 2020 von Pfarrerin Lydia Grund-Kolbinger

Ich glaube, hilf meinem Unglauben.

Markus 9,24

Wieder und wieder geschieht es. Plötzlich, unerwartet erwartet. Der Junge fällt zu Boden, wie von einer fremden Macht geschüttelt verkrampft er sich. An seinen bläulichen Lippen bildet sich weißer Schaum. Schließlich liegt er starr da, als sei er tot.
Hilflos, ohnmächtig kniet der Vater neben seinem Kind. Etwas Unerträglicheres gibt es wohl kaum, als das eigene Kind so leiden zu sehen. Wenn er ihm dies Leiden doch nur abnehmen könnte.
Wo andere unbefangen, frei und befreit herumtollen, muss sein Sohn immer vorsichtig sein. Ständig ist jemand in seiner Nähe, um ihn zu schützen, damit er sich nicht selbst in Lebensgefahr bringt; um ihn zu halten, wenn sein Geist von seinem Körper ablässt.
Was haben Vater und Mutter nicht alles schon versucht? Haben unzählige Ärzte nach Rat gefragt, sich von ihnen Hilfe erhofft. Gespannt und erwartungsvoll haben sie jeden aufgesucht, von dem es hieß, er könne Wunder bewirken, er könne sogar dieser unheimlichen Macht Einhalt gebieten. Doch jedes Mal sind sie wieder nach Hause zurückgekehrt, von ihrer Enttäuschung niedergedrückt. Denn nichts und niemand konnte ihrem Kind helfen.

Und doch: Neue Hoffnung keimte auf und trieb in ihren Herzen aus. Den Enttäuschungen zum Trotz. Es muss irgendwo Heilung geben! Aber wo?
Jesus?
Jesus!

Der Vater steht vor ihm und erzählt ihm von seinem Kind. „Ich habe schon die gefragt, die mit dir unterwegs sind“, sagt er, und in seiner Stimme liegt ein Hauch von Resignation. „Aber auch sie konnten ihm nicht helfen.“
Jesus scheint verärgert ob seiner machtlosen oder ohnmächtigen Jünger. Als hätten sie es noch immer nicht verstanden, was der Himmel bewirken kann.
Unwirsch sagt er dem Vater, er möge seinen Sohn herbeiholen.
Sogleich scheint auch die fremde Macht zeigen zu wollen, was in ihr steckt. Sie reißt das Kind zu Boden und schüttelt es durch.
Der Vater erzählt von all den Jahren, in denen er hilflos danebengestanden hat, von Wasser und Feuer, in die das Kind schon gefallen ist, von der Angst, dass die Krankheit es schließlich umbringen wird.

„Wenn Du etwas kannst”, fleht er, „So erbarme Dich unser und hilf uns!“
Wenn Du kannst“, wiederholt Jesus gereizt. Als sei er gekränkt von diesem besorgten Vater. Vorwurfsvoll klingt es, wenn er sagt: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt!“

Da löst sich in dem Vater, was sich all die Jahre angestaut hat, seine Hoffnung und die Enttäuschung, sein Vertrauen und die Skepsis, seine Liebe und die Verzweiflung.
Das ganze Auf und Ab brüllt der Vater heraus, nein, da gibt es kein Entweder-oder, alles streitet zugleich in ihm.
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“, schreit er.
Da gebietet Jesus der unheimlichen Macht, den Jungen in Ruhe zu lassen. Die bäumt sich noch einmal auf und verschwindet dann.
Der Junge liegt still da, als sei er tot.
Entsetzt schauen die, die um ihm herumstehen, sich an. Jesus ergreift die Hand des Kindes und richtet es auf.

Mich beeindruckt der Vater des todkranken Kindes, der so hartnäckig und ehrlich ist. Obwohl er verzweifelt ist, ja, fast resigniert hat, facht der Funken Hoffnung, der bleibt, immer wieder an. Und auch als er den Glauben in sich wachsen spürt, steht er zu seinem Unglauben.
So bringt er mit nur wenigen Worten die Ambivalenz zum Ausdruck, die einen durchschüttelt, wenn man spürt: Ich habe mein Leben nicht selbst in der Hand. Mir entgleitet die Kontrolle über mein Dasein, es erscheint mir wie von einer fremden Macht besetzt, die mir vorführt, wie zerbrechlich ich bin.
Und es tröstet mich geradezu, dass das Kind erst geheilt wird, nachdem auch Zweifel und Unglauben lautstark herausgeschrien werden durften. Ich ahne: Wenn der Boden unter meinen Füßen zu wanken beginnt, dann muss ich nicht immer glaubensstark sein, schon gar nicht, damit Gott mich weiterhin liebt. Er hält mich aus, wenn ich mich selbst kaum halten kann. Wenn ich verletzlich bin und verzweifelt, wenn Skepsis sich breitmacht in mir, bleibt er doch treu.

Nein, die dunklen Seiten verschonen mich nicht. Möglicherweise falle ich oder erstarre gar. Aber auch das andere geschieht: Einer reicht mir die Hand und richtet mich auf. Ich spüre, wie das Leben zurückkehrt zu mir, um mich abzuholen für die Zeit, die Zukunft heißt.

Es grüßt Sie herzlich
Ihre Pfarrerin Lydia Grund-Kolbinger

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