Berliner Familie Weltkrieg

Zeitreise einer Berliner Familie Teil 01

Max wurde 1873 und Johanna 1874 in Berlin in der Nähe der Zionskirche gebo-ren. Beide stammten aus Handwerkerfamilien, hatten mehrere Geschwister und haben 1895 geheiratet. Zu der Zeit spielte es noch keine so große Rolle, dass sie aus religiös unterschiedlichen Familien stammten. Ihnen selbst war es egal, sie liebten sich und das war für sie die Hauptsache. Max war jüdisch und Johanna protestantisch.

Foto: Privatbesitz Hannelore Krause

Die Mutter von Max war bei ihrer Heirat vom evangelischen zum jüdischen Glauben konvertiert. Die Kinder waren Juden, die Erziehung war loyal. Man feierte Weihnachten und Ostern so, wie es die Mutter gewohnt war. Selten ging man in die Kirche, selten in die Synagoge. Max machte sich keine großen Gedanken darum. Er war Deutscher und befolgte die Traditionen so, wie er sie kennengelernt hatte. Er aß gern Schweinefleisch, besonders Berliner Eisbein. Sein Begräbnis sollte allerdings auf einem Jüdischen Friedhof stattfinden. Max war lebensfroh, kontaktfreudig, gutmütig und gutgläubig. Von Beruf war er Drechsler. Er liebte Musik und die Gedichte von Detlev von Liliencron. Weil Max auch gern Theater spielte, verdiente er sich bei seinem Freund Willy Rose im Rose-Theater (Pankow) ein kleines Zubrot. Er spielte dort Theater, sang und trug Couplets vor.

Johanna war ebenso kontaktfreudig, empfindsam und fantasiereich. Sie war als gläubige Protestantin erzogen worden. Da ihre Vorfahren als Hugenotten aus Frankreich nach Berlin gekommen waren, hatte ihre Familie noch Beziehung zu der französisch-reformierten Gemeinde. Johanna blieb auch nach ihrer Heirat bei ihrem Glauben, behielt alle christlichen Bräuche bei und erzog ihre vier Kinder, obwohl sie nicht getauft und die drei Söhne beschnitten waren, im christlichen Sinne. Die ersehnte Tochter wäre später gern konfirmiert worden, so wie ihre Freundinnen. Zum Trost für den unerfüllten Wunsch bereiteten ihr die Eltern zum 15. Geburtstag eine besonders schöne Feier.

Irgendwann haben sich Max und Johanna selbstständig gemacht und eine Berliner Kneipe eröffnet, die „Künstlerklause“, in der sie auch den Theaterverein „Die gemütlichen Geister“ gegründet haben. Nun wurde im eignen Heim Theater gespielt und auch die vier Kinder bekamen ab und zu kleine Rollen. An schönen Wochenenden wurden Kremserfahrten veranstaltet. Man fuhr ins „Grüne“, in Gartenlokale, dort, wo „Berliner Kaffee kochen“ konnten. Die Menschen hatten nicht viel Geld, sie waren aber zufrieden und glücklich.

Dann kam der Erste Weltkrieg und Max und der älteste Sohn Erich wurden eingezogen. Erich wurde verletzt und kam ins Lazarett. Beide haben den Krieg überstanden.

Johanna mit den Kindern – Dora, Alfred und Erwin vor der Künstler Klause (Foto: Privatbesitz HK)

Nach der militärischen Niederlage folgte der Zusammenbruch des Kaiserreichs. 1919 wurde Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten gewählt. Er unterzeichnete die Weimarer Verfassung und damit war die „Weimarer Republik“ geboren, die erste Demokratie in Deutschland. Leider sollte sie nur bis 1933 erhalten bleiben.

Erich mit Johanna – 1. Weltkrieg (Foto: Privatbesitz: Hannelore Krause)

Zu den Nachwehen des Ersten Weltkriegs zählten wirtschaftliche Probleme (1923 kostete z. B. ein Brot 470 Mark). Während der Zeit der „Wilden Zwanziger“ mit Jazz und Charleston kam es 1929 zur Weltwirtschaftskrise, zu Massenarbeitslosigkeit und zu sozialen Unruhen. Durch das Versprechen Arbeitsplätze zu schaffen und den Parteienstreit zu überwinden, gelang Adolf Hitler 1933 an die Macht. Unter Ausnutzung aller Machtmittel und Einsatz von Schlägertrupps beseitigte er innerhalb weniger Monate die Ergebnisse von 14 Jahren Demokratie in Deutschland.

Im September 1935 verkündete er als Reichskanzler die Nürnberger Rassengesetze. Damit wurden die Juden zu Bürger zweiter Klasse degradiert und die Judenverfolgung wurde legalisiert. Viele Juden verließen Deutschland. Auch Verwandte und Freunde von Max und Johanna sind nach Palästina, Südafrika, Amerika und England ausgewandert. Mit dem 9.11.1938, der „Reichskristallnacht“, setzten planmäßige Pogrome gegen Juden ein. SS-Trupps steckten im ganzen Land Synagogen in Brand, zerstörten Fensterscheiben von jüdischen Geschäften und vollzogen einen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschen jüdischen Glaubens. Die beiden unverheirateten Schwestern von Max, die noch nicht ausgewandert waren und mit denen er engen Kontakt hatte, sind nach Theresienstadt interniert worden und nie wieder zurückgekommen.

Im Januar 1939 haben die Söhne Erwin und Alfred mit dem letzten Schiff Deutschland verlassen. (Im 2.Teil meines Berichts gehe ich näher darauf ein).

Johanna und Max haben unter den Grausamkeiten und den schmerzlichen Abschieden so sehr gelitten, dass sie krank wurden. Auch Max ist von der Gestapo abgeholt worden und wurde auf ein Lastauto verladen. Doch wie durch ein Wunder gelang es Johanna ihren Ehemann zu befreien. Es gab zu der Zeit den „Kampf der nichtjüdischen Frauen in der Rosenstraße“, wo es den Frauen durch Aufstände und Verhandlungen gelungen ist, etwa 2000 jüdische Ehemänner zu retten. Ich denke, dass diese Befreiungsaktion auch Einfluss auf die Freilassung von Max genommen hat. Johanna und Max lebten nun unter ständiger Angst und nach kurzer Zeit, im Februar 1944 ist Max in seiner Wohnung an einem Herzinfarkt verstorben. Während der letzten Atemzüge hat er Johanna von einem strahlend hellen Licht erzählt, dass sich vor ihm auftat. Max ist auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin – Weißensee beerdigt worden, ganz in der Nähe des Grabes für die geschändeten Thorarollen. 1950 folgte Johanna ihm dorthin nach.

Hannelore Krause

Zu Teil 02 von “Zeitreise einer Berliner Familie”>

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