Ferien in Göhren auf Rügen

In diesem Sommer bin ich nach über 70 Jahren in den Ferienort meiner Kindheit, nach Göhren auf Rügen zurückgekehrt und habe viele Erinnerungen wach
gerufen.
Genau wie damals habe ich einen sehr schönen Urlaub verlebt und das Baden im Meer und die Natur genossen.


Rügen liegt im Norden von Mecklenburg–Vorpommern und ist die größte deutsche Insel (926 km²) der Ostsee. Man findet hier Flach- und Steilküsten, die so beeindruckend sind, dass ein Maler wie Caspar David Friedrich, der bedeutendste deutsche Landschaftsmaler der Romantik, sie 1818 im Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ festgehalten hat.
Die Anreise nach Rügen ist per Auto, Bahn oder Charterflug möglich. Innerhalb der Insel kann man sein Ziel mit der Schmalspurbahn „Rasender Roland“ und per Schiff erreichen.
Im Südosten von Rügen liegt das Gebiet „Mönchgut – Granitz (84 km²), hier befindet sich das Ostseebad Göhren (7,4 km² und 1.300 Einwohner) mit einer Reha – Klinik am Südstrand.
Die frühesten Funde menschlicher Besiedelung auf Mönchgut stammen aus der mittleren Steinzeit (8000 v. Chr.). In der Nähe der Göhrener Kirche befindet sich das steinzeitliche Hügelgrab „Speckbusch“ und vor dem Nordstrand der „Buskam“, der größte Findling Norddeutschlands. Mönchgut verdankt seinen Namen den Mönchen eines Klosters bei Greifswald, die „Mönke Gut“ 1252 erwarben und es bis zur Reformation 1535 behielten. Danach fiel Mönchgut an das pommersche Herzogshaus und nach dem 30jährigen Krieg wurde Rügen insgesamt 1648 dem Königreich Schweden unterstellt. Die schwedische Herrschaft endete 1815, als die Insel beim Wiener Kongress Preußen zugeordnet wurde.
Der Ort Göhren existiert schon seit über 850 Jahren und war ehemals ein kleiner Fischer- und Bauernort. Sein Name stammt von dem slawischen Wort „gora“ und bedeutet „bergiges Dorf“; denn Göhren zeichnet sich nicht nur durch seine beiden feinsandigen Strände mit insgesamt 6 km Länge und einer Steilküste aus, sondern auch durch eine abwechslungsreiche Hügellandschaft mit Salzwiesen und Wäldern.
Erst im 19. Jh. entwickelte sich an der Ostsee der Bädertourismus. Lauterbach wurde 1816 zum ersten „Seebad“ auf Rügen ernannt. Göhren trägt den Titel „Seebad“ seit 1878 und seit 2007 den Titel „Kneipkurort“.

Nach der Reichsgründung 1871 war es zu einem Aufschwung des deutschen Wirtschaftslebens gekommen. Für die wohlhabende Gesellschaft kam es auch in Mode in die „Sommerfrische“ an die Ostsee zu fahren. Der Bauboom blühte: Fischerhäuser verschwanden und Grundstücke wurden in Parzellen geteilt, Pensionen und Hotels entstanden.
Die Reisegäste kamen mit Dampfschiffen, die dann vor dem Strand ankerten, also, „auf Reede lagen“. Auf kleinen Stegen konnten die ausgebooteten Touristen an Land gehen. 1885 waren bereits 1.300 Gäste in Göhren. Im Laufe der Jahre wurden am Nord- und Südstrand verschiedene Brückenstege gebaut und wieder abgerissen, bis man sie durch Seebrücken zum Direktanlegen der Schiffe ersetzte. So entstand 1934 eine 450 m lange moderne Brücke. Durch Eispressungen und Verfall in den Kriegs- und Nachkriegsjahren musste sie 1953 gesprengt werden. Ich hatte in meiner Kindheit noch die zerstörte Brücke kennengelernt; denn wir kletterten gern dort herum und mein Bruder saß oft mit seiner selbstgebastelten Angel dort und wollte Fische fangen. Heute ist die erst 1993 erbaute 270m lange Seebrücke ein markantes Wahrzeichen von Göhren. Sie ruht auf Betonpfeilern, ist mit Holz beplankt und hat einen V–förmigen Schiffsanleger.

Als 1948 meine Eltern die Absicht hatten die Ferien auf Rügen zu verleben, ist mein Vater im Frühjahr zur Quartiersuche mit dem Zug nach Göhren gefahren. Bei seiner Ankunft hatte er sich, um einen Regenschauer abzuwarten, am Eingang eines kleinen Ladens untergestellt. Zwei alte Damen, die Ladenbesitzerinnen, baten ihn einzutreten. Es waren gebürtige Berlinerinnen, die den Schokoladenladen bisher geführt hatten; jetzt waren sie Rentnerinnen und Schokolade gab es sowieso nicht, sie wohnten nun in dem Laden. Mein Vater war immer sehr gesprächig und die Damen, die bald unsere Nenntanten wurden, waren sehr hilfsbereit. Sie vermittelten uns eine Ferienunterkunft im Haus Kehrwieder mit der Möglichkeit kalte Mahlzeiten selbst zubereiten zu können. Die beiden Damen schlugen vor bei ihnen zu kochen und zu essen. Meine Eltern hatten das Angebot angenommen und dafür konnten die beiden Tanten Martha und Helene abends immer mit uns zusammen essen.
Ja, das Reisen war damals noch problematisch, vor allem war es mit der Verpflegung schlecht. Aber nach den schrecklichen Kriegsjahren mit all seinen Einschränkungen und Entbehrungen sehnten sich die Menschen nach Normalität. So war es notwendig, dass mein Vater damals fast täglich früh am Morgen zum Südstrand gegangen ist, um die mit hoffentlich vollen Netzen heimkehrenden Fischer zu erwarten. Ich glaube, es waren fast ausschließlich Tauschgeschäfte, die dort getätigt wurden. Mein Vater, der Textilkaufmann war, hatte Nähmaterial und Stoffe anzubieten. Er ist auch „über Land“ gegangen, um zu „hamstern“; er hat also versucht bei den Bauern Lebensmittel zu bekommen.

Einmal habe ich ihn dabei begleitet: wir sind morgens los gewandert, erst am Südstrand entlang bis Lobbe und dann über Wiesen und Felder bis Gager. Das war weit und es war warm. Ich erinnere mich, dass wir bei einem Schneider in der Stube saßen, er hatte viele Hühner im Stall, also auch Eier, und mein Vater hatte Garn und Stoff. Als wir auf dem Rückweg waren, wurden bereits die Kühe auf der Weide gemolken. Mein Vater wollte mir etwas Gutes tun und fragte eine Melkerin, ob ich etwas Milch trinken dürfte. Na ja, aber niemand hatte einen Becher. So musste ich mich unter der Kuh über den Eimer beugen und von der warmen, schaumigen Milch trinken. Das war nicht einfach und es hat mir nicht gefallen, ich habe aber nicht widersprochen. Jedenfalls hatte ich genug von dieser Hamsterwanderung und habe meinen Vater nie mehr dabei begleitet.
Ich war damals 11 Jahre alt und bin lieber am Strand geblieben und habe gebadet. Ja, das Schwimmen im Meer oder das Baden bei hohem Wellengang war für mich immer herrlich.
Während der Ferien, die wir dort verbracht haben, hatte ich immer Kinder zum Spielen gefunden. Entweder waren es Klassenkameradinnen, die da auch Urlaub machten oder Feriengäste, z.B. aus Leipzig oder Chemnitz, mit denen ich auch Brieffreundschaften schloss und die mich später in Berlin besuchten. Wir haben uns nicht nur am Strand aufgehalten, gern haben wir auch im Wald „verstecken“ gespielt, was aber von den Eltern verboten war. Im Wald haben wir oft Blaubeeren gesammelt oder auch Sanddornbeeren. Einmal sind wir mit mehreren Familien durch den Wald bis nach Sellin gelaufen, dort sollte es Eis geben. Vor dem Laden war eine lange Schlange. Als ich endlich meine Eiskugel hatte, es war Orangeneis, und daran lutschte, musste ich mich sofort übergeben, es hatte ekelig süß und künstlich geschmeckt.


Wir hatten auch eine schöne Strandburg: mein Vater hatte mit einem Spaten einen Berg geschippt und darauf thronte unser Strandkorb, der nicht wie die anderen Körbe in einer Kuhle stehen durfte, denn: Eine Burg steht auf einem Berg, meinte er. Die Burgmauer hatten wir mit Muscheln verziert und mit feuchtem Sand den Namen geschrieben „Berliner Jörn“. Beim Strandburgwettbewerb haben wir einen Preis bekommen: eine Woche freie Korbbenutzung. Man wies uns aber darauf hin, dass wir „Göhren“ falsch geschrieben hätten (die Insulaner kannten den Berliner Ausdruck „Jöre“ nicht). Wir mussten unsere Burg immer feucht halten und mit einer Gießkanne besprengen. Mir halfen dabei die Strandkorbnachbarn, Herr und Frau Steinhart aus Oranienburg, die ich „Pflaumenweich“ nannte; denn sie waren sanft und nett.
Auch meine Eltern hatten nette Leute kennengelernt, die uns am Strand besuchten. Wenn Tante Martha und ihre Schwester Helene kamen, brachten sie oft „Augustäpfel“ mit, die wir aber nur nach dem Baden essen durften (wohl aus gesundheitlichen Gründen).
Die drei jungen Schwestern, Ilse, Ursel und Helga, kamen manchmal mit einem jungen Tierarzt, Dr. Krieger, mit dem sie in Berlin in einem Haus wohnten. Die Mädchen beschäftigten sich gern mit meinem kleinen Bruder und seinen Freunden und Dr. Krieger wollte mir das Schachspielen beibringen. Ich hatte aber keine Lust dazu. Wenn ich ihn schon kommen sah: in Badehose und hellblauem, langärmligem, wehendem Oberhemd und mit dem Schachbrett unter dem Arm, rannte ich fort. Ich hätte lieber im Strandkorb in meinem „Nesthäkchenbuch“ weitergelesen.

Beim Schreiben des Berichtes über meine kürzliche Reise kamen mir so viel Kindheitserinnerungen, dass ich das Bedürfnis hatte auch sie niederzuschreiben. Mit einem letzten Erinnerungsbild möchte ich jetzt dieses Kapitel beenden: wenn wir am letzten Abend vor Urlaubsende den Strand verließen und den steilen Weg, der Strand und Ort verbindet, mit unserem Strandgepäck mühevoll hochstiegen, sagte mein Vater: „Dreht euch noch einmal um und verabschiedet euch von der Ostsee, ihr seht sie erst im nächsten Jahr wieder,“ und wir blieben stehen und schauten auf das von der Sonne vergoldete Meer.
Diesen beschwerlichen Weg habe ich dieses Jahr gleich wiedergefunden. Er besteht noch immer, auch das danebenstehende „Strandcafe“. Beides ist umgebaut und verschönert. Der Weg ist breiter, rot gefliest und durch ein Geländer zweigeteilt. Die eine Hälfte ist mit breiten, flachen Stufen und seitlichen Bänken versehen, die andere Hälfte, die Schräge, dient Rollstühlen und Kinderwagen. Ich bin dort mit meinem Rollator gelaufen und konnte mich noch am Geländer festhalten. Um diesen Höhenunterschied zwischen Ortsmitte und dem Nordstrand zu überwinden gibt es seit 2014 eine wunderbare Einrichtung in Göhren: den Schrägaufzug, der an den Hang gebaute, seilgezogene und auf Schienen fahrende Lift, der die 30 Meter Höhenunterschied auf einer Länge von 100 Metern innerhalb von 2 Minuten zurücklegt. Er befördert bis zu 12 Personen, besonders Ältere, Rollstuhlfahrer oder Familien mit Kinderwagen sind sehr dankbar dafür. Ich hatte das Glück, dass die Bergstation fast neben meinem Hotel ist. Die Talstation liegt in der Nähe des Bahnhofs, der Bushaltestellen und nahe beim Strand, der Seebrücke und der Bernsteinpromenade mit dem Kurpavillon.
Es ist ganz natürlich, dass der kleine Badeort Göhren, so wie ich ihn in der Nachkriegszeit kennengelernt hatte, jetzt ein anderes Aussehen hat. In den vielen Jahren haben Häuser ihre Besitzer gewechselt, die dann die alten Häuser entweder vergrößert und renoviert haben oder sie haben sie abgerissen und völlig neu gebaut.
Ich erinnere mich noch an Häuser, denen frische Farbe fehlte und manchmal auch neue Fensterscheiben (die, durch den Krieg zerstörten, hatte man durch Pappe oder Röntgenplatten ersetzt). Der einzige Schmuck waren die blühenden Geranien auf den durch Schnitzereien verzierten Holzbalkonen und die blau- und rosa farbigen dicken Hortensienbüsche in den Vorgärten. Einige der noch erhaltenen Häuser habe ich an ihren Namen wiedererkannt: Haus Minna, Auguste, Undine, Seeblick, Waldesruh, auch die, in denen wir gewohnt haben: Kehrwieder, Fortuna, Concordia (jetzt Eintracht).
Heute sieht alles bunter, größer, schmucker aus. Es gibt Pensionen, Hotels, vielerlei Geschäfte mit bunten Waren, Restaurants, Konditoreien und köstliches Eis.


Ich habe jetzt im Waldhotel gewohnt, das gab es damals schon. Aber der neue Besitzer hat noch einige der benachbarten Häuser dazu gekauft, großzügig umgebaut, renoviert und praktisch und schön hergerichtet. Es gehört eine Kurabteilung mit Sauna dazu und ein Hallenbad, in dem ich täglich schon vor dem Frühstück zum Schwimmen war. Welch Luxus! Zu der Hotelanlage gehört ein großer gepflegter Park mit schattenspendenden Bäumen, blühenden Sträuchern und vielen bunten Rosenstöcken. Strandkörbe, Liegen, Hängematten und lauschige Sitzecken laden zum Verweilen ein.
Aber das Schönste im Park ist: der weite Blick auf die Ostsee. Diesen Blick hatte ich auch von meinem Balkon. Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr wieder. Vielleicht erwartet mich dann sogar eine Überraschung: Am Ufer ein Steg mit einer Treppe und Geländer oder ähnliches, damit Menschen, die, wie ich, gehbehindert sind, ohne Hilfe anderer ins Wasser steigen können, um loszuschwimmen.

Fotos und Text: Hannelore Krause

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