Die gestohlene Maria

Die gestohlene Maria

von Pfarrer Günter Pilgrim, in verkürzter Form umgeschrieben von Hannelore Krause

Es war einige Tage vor Weihnachten und es hatte immer noch nicht geschneit. Der Pfarrer von St. Sebastian war eben aus der Frühmesse gekommen und ging in seinem Dienstzimmer auf und ab. Nur gut, dachte er, dass wir den Weihnachtsbaum in der Kirche bereits gestern aufstellen konnten. Die Arbeit war getan. Es war sein besonderer Ehrgeiz seit Jahren, in der Kirche einen extra großen Baum zu haben. Fünf Männer waren einen Tag lang mit dem Aufstellen beschäftigt gewesen. Eine Mordsarbeit! Als dann noch die elektrischen Kerzen anmontiert waren und die breiten goldenen Lamettafäden hingen, da war der Prachtbaum Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Nachdem sie noch unter und neben den Baum die Weihnachtskrippe mit den 80 cm großen erzgebirgischen Figuren dazu getan hatten, standen Pfarrer und Mitarbeiter und staunten nach Herzenslust. Und staunen ist wie Auftanken der Seele.
Das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab. „Herr Pfarrer, kommen Sie bitte sofort in die Kirche. Es ist etwas Schlimmes passiert.“ „Ja, ich komme.“ Schon im Mittelgang hörte er die Kirchendienerin Frau Wacker rufen: „Herr Pfarrer, halten Sie sich fest, die Maria ist geklaut.“ Sie stand vor der Krippe und rang die Hände.

Die Weihnachtskrippe war der Stolz der Gemeinde. Über 10 Jahre hatten sie dafür gesammelt. Und jetzt? „Wer macht so was?“ rief Frau Wacker. „Wer klaut heilige Figuren? Wir müssen die Kirche abschließen.“ Der Pfarrer versuchte Ruhe zu bewahren. „Aber abschließen werden wir die Kirche nicht“, sagte er. „Hier muss jeder reingehen können und beten und unseren herrlichen Baum bewundern.“ Die Kirchendienerin schüttelte den Kopf: „Schöne Beter sind das! Verbrecher sind das! Sie mit Ihrem kindlichen Vertrauen.“ „Ein bisschen mehr beten hat noch keinem geschadet“, meinte der Pfarrer.

Am nächsten Tag fehlte die zweite Figur, der Josef. „Jetzt schließ ich ab!“ schrie Frau Wacker. „Die Kirche bleibt offen“, entschied der Pfarrer. „Ich schiebe Wache. „Hinter dem Baum kann ich gut aufpassen und meine Weihnachtspredigt vorbereiten.“ „Nein, diese jungen Priester von heute“, schüttelte Frau Wacker den Kopf. Dabei störte sie der fehlende Josef nicht so sehr; denn seine Tätigkeit war ja sowieso etwas ungeklärt. Aber ohne die Maria geht nix. Frau Wacker war es gar nicht recht, dass der Pfarrer nun fortan in der Kirche hinter dem Baum sitzen würde und ihr auch bei ihrer Arbeit und Pause zusehen könnte. Unterdessen strömten die ersten Besucher in die Kirche, um sich den herrlichen Baum und die Krippe anzuschauen. Am Nachmittag wurde es stiller und am Abend war es fast leer. Plötzlich kam ein fünfjähriger Junge in die Kirche. Er sah sich um, fiel vorn auf die Knie, sah auf die Weihnachtskrippe und murmelte etwas. Der Pfarrer hinter dem Baum merkte auf. Was flüsterte der Bengel? Der Steppke murmelte: „Liebes Christkind, ich hab es dir schon gestern und vorgestern gesagt. Bist du schwerhörig?
Das rote Fahrrad steht immer noch im Schaufenster. Mach doch, dass meine Eltern es kaufen. Bitte! Der Pfarrer hat immer gesagt, du erhörst Bitten. Und jetzt? Nichts ist geschehen. Beeil dich, bald ist Weihnachten. Wenn nichts passiert, siehst du deine Eltern nicht wieder. Das ist mein letztes Wort!“ Der Pfarrer war erschrocken. Kurzentschlossen schoss er hinter dem Baum hervor und schnappte sich den Jungen: „Hab ich dich, du Dieb!“
Der Kleine sah ihn erschrockenen an, fasste sich aber sofort und erwiderte kleinlaut: „Nicht mal beten darf man hier in Ruhe.“ „Beten nennst du das? Ich hör wohl nicht richtig. Also, wo sind Maria und Josef, raus damit!“ „Na ja“, sagte der Junge, „Sie müssen hier ja nicht solchen Aufstand machen. Da wendet man sich hier vor Ort direkt an das Christkind, redet mit ihm persönlich und nichts passiert! Ich musste einfach ein wenig Druck machen. Das Christkind soll nur meinen Eltern den Einfall geben. Alle Kinder im Kindergarten haben ein Fahrrad und das rote Fahrrad ist so schön, es steht immer noch im Schaufenster“. Er sah den Pfarrer bittend an und sagte: „Sie gehören doch zu dem heiligen Team.

Können Sie nicht ein wenig mithelfen, bitte. Übrigens keine Angst; die Eltern vom Christkind hab ich nur versteckt. Ich habe sie in meinen Anorak gewickelt und unter die letzte Bankreihe gelegt, sie sind gut untergebracht. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen.“

Dem Pfarrer gefiel der Junge und beide zogen los zur letzten Bankreihe. Wie Komplizen krochen sie unter die Bank und wickelten die Figuren aus. Sie schleppten sie nach vorn und platzierten Maria und Josef am vorgesehenen Ort. „Wir müssen uns beeilen“, hatte der Pfarrer gesagt, „wenn die Kirchendienerin uns sieht, na, dann ist was los“. Der Junge grinste und beeilte sich. Er zog den Anorak an und verabschiedete sich.

Am ersten Weihnachtstag im Gottesdienst saß der Steppke mit seinen Eltern in der ersten Reihe. Als der Pfarrer vom Lesepult mit der Predigt beginnen wollte, stutzte er. Der Kleine hielt plötzlich ein Blatt aus seinem Zeichenblock hoch, und darauf stand in schwarzen, großen Buchstaben: „Alles okay, Rad vorhanden, Danke.“ Der Pfarrer hatte zu tun, dass er jetzt nicht loslachen musste. Der Bengel hat Einfälle, nicht zu fassen! Kurz darauf nahm der Junge das Papier wieder runter.

Der Pfarrer kann jetzt nicht antworten, dachte er, kann nicht mal lächeln. Er muss ja predigen. Doch der Lütte hielt noch einmal das Blatt hoch. Der Pfarrer sah das Bemühen des Kindes und wollte sich irgendwie bemerkbar machen. Da zwinkerte er ihm mehrmals mit den Augen zu. Das erlaubte die heilige Handlung gerade noch. Der Junge zwinkerte zurück und nahm das Blatt herunter. Komisch, dachte die Kirchendienerin, was hat Hochwürden heute mit den Augen. Er plinkert in einer Tour. Jeden Tag was Neues! Nein, diese jungen Priester! Als sie aus der Kirche kamen, hatte es begonnen zu schneien.

Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünscht Ihnen Hannelore Krause.

Anstehende Veranstaltungen

Kategorien